Das waren die deutschen Meisterschaften 2020

AUTHOR: SSN Tuesday, November 12, 2019 TOPIC: Speed Skating

DESGphoto Lea Sophie Scholz DESGphoto / L. Hagen

Manchmal ist es gut sich ein wenig Zeit zu lassen, um ein Fazit zu ziehen. Dies gibt einem die Gelegenheit das Erlebte nochmals Revue passieren zu lassen. So auch bei diesen Deutschen Meisterschaften in Inzell. Angereist war ich, um Sport zu erleben, der dieses Jahr erstmals als offene deutsche Meisterschaften im Eisschnelllauf und mit internationaler Beteiligung, also in einem neuen Format ausgetragen wurde. Am Ende jedoch drehte sich das Meiste wieder nur um den Verband und Claudia Pechstein.

Besonders auf der sportlichen Seite gab es (zumindest an den ersten beiden Tagen) keine wirkliche Überraschungen. Nico Ihle und Joel Dufter zeigten stabile Leistungen auf den 500m und 1000m. Beide Sprinter konzentrieren sie diese Saison vornehmlich auf die 1000m. Nach den 500m konstatierte Joel Dufter nach seiner Zeit von 35,41 Sekunden und diesmal im Dauer-Duell gegen Nico Ihle um neun Hundertstel in Front. „Das war ein guter Mittellauf.“ und merkte an: „Mit zehn Sekunden am Start gewinnt man international nix, denn das holt man nie mehr auf.“

DESGphoto Hendrik Dombek DESGphoto / L. Hagen

Den dritten Platz belegte der 22jährige Hendrik Dombek. Der Münchener, der in Erfurt trainiert, hatte schon letzte Saison auf sich aufmerksam gemacht – musste aber aus gesundheitlichen Problemen „frustriert ausgerechnet beim Saison-Höhepunkt, der WM“, zuschauen. Nach einer kurzen Pause begann der neue Anlauf im Team von Leger. „Schon das brachte viel Motivation.“ Doch bis zu seinem großen Ziel, den Olympischen Spielen 2022, liegen noch endlose Runden auf den 400m vor ihm. „Ich bin weit weg von der Weltspitze“, konstatiert Dombek trocken. Ein DM-Podest kann er dennoch als guten Saisonstart einordnen.

Bei den Frauen gewann Katja Franzen, die mittlerweile für den DEC Inzell startet “endlich im sechsten Anlauf” den deutschen Meistertitel im Sprint über die 500m.

Drei strahlende Damen über 3000m – ein schönes Bild bei der dritten Titelvergabe. Die fünfmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein sicherte sich die 38. Meisterschaft und konnte mit ihrer Endzeit von 4:05,57 Minuten zufrieden sein. „Darauf bin ich stolz in meinem Alter“, sagte die 47-Jährige. Im direkten Duell ergriff Roxanne Dufter (27) das Heil in der Flucht – am Ende wurden die Beine schwerer. „Der Lauf war OK, aber es ist sehr viel Luft nach oben“, ihre Analyse. Auch Michelle Uhrig knackte relativ easy die Zeithürde für den Weltcup, Coach Erik Bouwman, bei dem die Berlinerin jetzt im zweiten Jahr trainiert („er hat mir Vertrauen gegeben“) nickte.

Über die 5000m der Herren siegte Patrick Beckert im internationalen Duell gegen den Belgier Bart Swings. Seine 6:21,79 leuchteten ganz oben auf dem Tableau auf. Aber auch Felix Maly und Fridtjof Petzold blieben unter dem Limit. Vielleicht ein Auftakt fast nach Maß – ganz zu Saisonbeginn stimmt bei vielen die Form.

An Tag 2 konnten die Zuschauer über Leistungssteigerungen staunen und wurden mit so manch neuem Namen konfrontiert. Die Jüngste im Bunde, Anna Ostlender, 17-jährige Gymnasiastin in Berchtesgaden, startete gleich über drei Strecken, holte auf ihrer Lieblingsdisziplin, dem Sprint, gar Silber und stellte drei neue persönliche Bestzeiten auf. „Die Trainer meinten, ich solle dieses Pensum angehen und ich wollte es auch.“ Die Vorbereitung vereinbarte sie mit wöchentlichen Klausuren, „aber es läuft schulisch“, wusste sie zu berichten. Michelle Uhrig (23) aus Berlin gewann die 1000m und strahlte am Ende: „Ich hatte ein bisschen damit spekuliert“. Die Zeit von 1:16,76 Minuten allerdings war deutlich schneller als erwartet. „Ich mag diese Strecke. Das ist nicht so viel Taktik, sondern nur ballern.“

Die Tausendmeter-Herren konnten die Vorlage der Eisschnellläuferinnen nur bedingt aufnehmen. Lediglich Nico Ihle unterbot die Grenze von 1:10-Minuten. Seine 14. nationale Meisterschaft, aber erst die zweite über die 1000m. Richtig zufrieden war der frisch gebackene Familienvater (zum 3. Mal) indes nicht. „Ich hätte mit einer schnelleren Zeit gerechnet, komme im Moment noch nicht an mein Limit. Hinterher tut es kurz weh, aber dann kann ich mich schon wieder unterhalten“, schilderte der Chemnitzer den Journalisten sein „Nicht-Kaputtsein“ kurz nach dem Lauf. Das harte Eis machte auch Vizemeister Joel Dufter (Inzell) zu schaffen, während sich Jeremias Marx (Erfurt) nach Platz 4 im Sprint nun aufs Podest katapultierte und die Normzeit von 1:11,02 klar unterbot.

Patrick Beckert trat über 10km gegen Felix Maly an und brachte DM-Titel Nr. 22 unter Dach und Fach. Die Zeit war sekundär, der Thüringer spricht davon, jetzt „die Tempohärte“ bei den bevorstehenden Weltcups zu erlangen. Claudia Pechstein “gewann” als einzige deutsche Starterin die 5000m, nachdem im Vorfeld extra für sie in diesen Lauf die deutsche Wettlaufordnung “neu interpretiert” wurde.

DESGphoto Stefan Emele DESGphoto / L. Hagen

Sportlich gesehen hatte der dritte Tag einige Überraschungen parat. Die 1500m-Distanz bei den Herren gilt – und das seit Jahren – als Problemfall. Immerhin 41 Junioren und Senioren kämpften um den Titel. Am Ende gewann für fast alle überraschend Stefan Emele in 1:49,19 Minuten. Den 23-jährigen Inlineskater aus Hessen, hatte eigentlich nur Bundestrainer Danny Leger ganz oben auf seinem Zettel. Der frisch gebackene DESG-Newcomer des Jahres, Lukas Mann (19), klopfte an die Senioren-Tür an und gewann in 1:49,85 Minuten die Silbermedaille.

Die abschliessenden Massenläufe, früher oft zu taktikgeprägt, entlockten den Zuschauern manches „Wow“. Dank starken Zwischenspurts, Ausreißversuchen und abschließender Tempo-Ekstase. Die DM-Titel gingen an Josie Hofmann aus Erfurt und Fridtjof Petzold (Crimmitschau). „Sie“, gerade 22, siegte vor Michelle Uhrig, die damit ihre vierte Medaille mit nach Hause nahm. „Er“, der Sport-Management studiert und mit Felix Maly ein Trainings-Gespann bildete, setzten den Schlusspunkt unter ein gelungenes Eis-Wochenende.

Einordnung

„Die Internationalen Meisterschaft sind eine Aufwertung.“, kommentierte Kufen-Legende Gunda Niemann-Stirnemann die neue Wettkampfform. Durch die größeren Startfelder, aufgefüllt mit Junioren und internationalen Läufern u.a. aus Österreich die auch gleich ihre nationalen Meisterschaften austrugen oder finnische und tschechische Starter sind mit Sicherheit eine Bereicherung.

DESGphoto Erik Bouwman DESGphoto / L. Hagen

Im Nachgang einer solchen DM versucht man zwangsläufig natürlich auch die sportlichen Aspekte und Leistungen international einzuordnen – besonders mit dem Blick in die Eisschnelllauf-Nation Niederlande. Diese hatten eine Woche zuvor die Qualifikation für die Weltcups ausgetragen. Auch wenn die Verlockung groß ist, sollte man dies jedoch nicht zwangsweise tun. Die Konkurrenz in den Niederlanden ist um ein vielfaches größer, so dass bereits zu Saisonbeginn Spitzenleistungen gezeigt werden müssen. In Hinblick darauf haben die deutschen Läufer und Läuferinnen ein “Luxusleben” und mussten “nur” die ohnehin zum Vorjahr abgeschwächten Qualifikationszeiten erlaufen. Zudem, und dies gilt besonders auf den langen Strecken, bleiben nur wenige Tage, um sich für den ersten Weltcup in Minsk zu erholen und in Form zu bringen.

Bundestrainer Erik Bouwman kommentierte dies mit den Worten: „Wir können nicht für jeden Sportler nur auf den Knopf drücken, es sind keine Maschinen.“ Heißt im Klartext: mehrere Eisschnellläufer sollten beim Saison-Opening zwar fit sein, die weitere Entwicklung muss jedoch bei den internationalen Highlights erfolgen. Danny Leger, für Sprint- und Mittelstrecke verantwortlich, ergänzte: „Nach den Trainingsleistungen hatten wir bessere Zeiten erwartet. Unser neuer Prozess funktioniert, die Ergebnisse diesmal nicht. Aber ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass es beim Weltcup-Auftakt deutlich besser läuft.“

Der Verband

Neben den sportlichen Leistungen drehte sich jedoch bei diesen Meisterschaften wieder einmal vieles um den Verband. Hierbei kann man nur zu oft den Eindruck gewinnen, dass der Verband (und hierbei sind explizit die sportlichen Bereiche ausgenommen) jedes Fettnäpfchen gesucht und getroffen wird.

Angefangen hatte alles mit dem Rücktritt der glück- und erfolglosen Präsidentin Stefanie Teuween, welche bereits Mitglied des Präsidiums zu Heinze/Schumacher-Zeiten war. Ihren Rücktritt vermeldete sie unmittelbar vor der DM. Als einen der Gründe benannte sie in einem SWZ Interview “persönliche Anfeindungen” die ihr entgegengebracht wurden. Für Insider ist dies nicht wirklich überraschend, da besonders ihr Führungsstil und ihre Art zu kommunizieren (nach innen und außen) bereits in der Vergangenheit für (zumeist unter vorgehaltener Hand getätigten) Kritik an ihrer Person sorgten. Daher muss man wohl konstatieren, dass sie nicht nur ein Opfer der Situation ist, sondern Teile davon selber herbeigeführt hat. Auch wenn sie beteuerte “dem Verband nicht schaden zu wollen” – mit dem selbst gewählten Zeitpunkt ihres Rücktritts hat sie genau dieses getan.

Aber auch die Mitglieder der noch bestehenden Verbandsspitze müssen sich Kritik gefallen lassen. Das am Donnerstag stattgefunden Medienseminar, bei dem zahlreiche Medienvertreter vor Ort waren, haben vom Rücktritt der Präsidentin erst “zufällig” am Abend durch ein Schreiben an die Landesverbände erfahren. Warum diese wichtige Information nicht offen und transparent im Rahmen des Medienseminars kommuniziert wurde, bleibt im Dunkeln.

Wenig überraschend war hingegen, dass diese Rücktrittsmeldung vom Team Pechstein unverzüglich aufgegriffen wurde und der Lebenspartner von Claudia Pechstein, Matthias Große, sich in Position um das Amt brachte. Allein hierdurch geriet der eigentliche Sport komplett zur Nebensache. Welche Chancen Große hat bleibt abzuwarten, da der Präsident von den Mitgliedern gewählt werden muss.

Die “Kandidatur” von Große stieß hingegen bereits bei vielen Mitgliedern auf heftigen Widerstand. Athletensprecher Moritz Geisreiter brachte es anschliessend gegenüber der SWZ auf den Punkt: “Aus meiner Sicht wäre Große nicht der Richtige», sagte der frühere deutsche Meister. “Ein Präsident muss in dieser Situation den ganzen Verband einigen können, und diese Voraussetzung sehe ich bei ihm nicht.”

Konsequent zeigte sich die DESG hingegen heute als sie Matthias Große nach seiner “teilweise unsachgemäßen und dadurch verbandsschädigenden Aussagen” aus dem Betreuerstab entfernte.

Zum Schluss war dann auch noch die “eigenwillige Titelvergabe” über 5000m bei den Damen wo Claudia Pechstein als einzige deutsche Läuferin an den Start ging und somit auch den Titel “gewann”. Die Deutsche Wettlaufordnung definiert in Regel 37 Punkt 2 DWO: Durchführung eines Wettbewerbes: Wenn mindestens drei Teilnehmer über die jeweilige Einzelstrecke oder den Mehrkampf gemeldet sind und zwei an den Start gehen, findet der betreffende Lauf/Wettbewerb statt.

Auf Nachfrage bestätigte Dieter Wallisch, Schatzmeister und verbleibendes Mitglied im Präsidium, dass die Regeln im Vorfeld für diesen Wettkampf geändert wurden. Sportdirektor Matthias Kulik sieht darin hingegen eine “Auslegungsform” der Regeln. Klar ist: der Verband kann seine eigenen Regeln ändern. Dies muss jedoch innerhalb von Fristen geschehen, die hierbei nicht eingehalten wurden. Zudem wurde diese Regeländerung nirgends kommuniziert!

Wenn der Verband noch eine Chance auf Akzeptanz bei seinen Mitgliedern haben will und sich wirklich ändern will (kommuniziert wurde dies an diesem Wochenende mehr als nur einmal), muss er endlich auch einmal damit anfangen. Dann kann es nicht sein, dass Regeln “neu interpretiert” werden, ohne dies seinen Mitgliedern auch zu erklären.

Die Masters hingegen wird das Vorgehen an diesem Wochenende freuen. Sie hatten durch die geringe Anzahl von Athleten, besondern in den höheren Altersklassen, keine Chance Titel zu vergeben. Dies dürfte sich seit diesem Wochenende geändert haben und wir werden mehrere Meister sehen, die allein an den Start gehen.

Die DESG muss endlich aufhören in ihrem Elfenbeinturm zu sitzen, die Basis integrieren und offen transparent kommunizieren. Der Wunsch und das Vorhaben dies zu tun wurde an diesem Wochenende mehr als einmal von so ziemlich jedem Mitglied der Geschäftsstelle und des Vorstandes erklärt. Jetzt ist es an Zeit diesen Worten Taten folgen zu lassen – und Zeit ist etwas was die DESG kaum mehr hat. Erste sichtbare Schritte wurden bereits unternommen, so dass die Zukunft weniger düster aussieht als außenstehende Beobachter vermeinen könnten.